Mai 2021 – eine Arbeit über die AfD und ihr bürgerliches Image – Harry Nellis

In diesem Blogeintrag möchte ich ein komplexeres Thema angehen und zwar der rassistische Angriff in Hanau, mit Schwerpunkt auf die Ursachen sowie die Folgen in der deutschen Gesellschaft. Vor kurzer Zeit gab’s die Landtagswahl hier in Baden-Württemberg, was mich zum Nachdenken geführt hat!

In deutscher Nachkriegsgesellschaft hat rechter Terror eine verstörende Geschichte und am 19.02.2020 wurden 9 Menschen mit sogenanntem ‚Migrationshintergrund‘ von einem rassistischen, rechtsextremistischen Attentäter in Hanau ermordet. Als die Pandemie nur einen Monat später die Welt zum Stillstand gebracht hat, waren die Ereignisse weitgehend überschattet. Eine ausführliche und ausreichende Untersuchung im Namen der Behörden kam eigentlich nie. Mehr als ein Jahr danach, mit relativ wenig Auseinandersetzung mit dem Ereignis und dessen soziale und politische Folgen, habe ich einen Podcast gehört, was meinen Lernprozess eigentlich angefangen hat. Später habe ich Fragen über Rechtsextremismus in Deutschland gestellt: wie wird Rechtsextremismus immer noch geduldet, sogar vorangetrieben, und von wem?

Mit Hanau als Ausgangspunkt untersucht diese Arbeit den Gebrauch von rechtsextremer Rhetorik innerhalb der Alternative für Deutschland Partei (AfD), um festzustellen, ob dies zur Normalisierung rechtsextremer Ideologien im politischen Raum in Deutschland führt. Der Gebrauch rechtsextremer Ideologien wird in Reden von selbsternannten ‚bürgerlichen‘ AfD-Politikern und Politikerinnen analysiert. Schlussfolgerung dieser Untersuchung ist, dass durch die bürgerliche Selbstdarstellung mancher AfD Politiker und Politikerinnen, wird Rechtsextremismus in deutscher Gesellschaft nicht nur geduldet, sondern auch direkt gefördert und angeheizt. Dieses Phänomenon ermutigt Rechtsextremisten und ermöglicht es denen, rechtsradikale Ideologien zu verbreiten und hauptsächlich das Leben von für Rechtsextremen erachtet ‚nicht passenden‘ Menschen zu gefährden.

Bevor dieser Untersuchung nachgegangen wird, sollte das Konzept der ‚rechten Ideologie‘ selbst zulässig formuliert werden. Hier kann die Arbeit von Cas Mudde über radikale, rechtspopulistische Parteien miteinbezogen werden, in der eine klare Definition der rechten Ideologie angeboten wird.[1] Mudde beschreibt, dass unter rechter Ideologie, Staaten sollten ausschließlich von Mitgliedern der ‚einheimischen Gruppe‘ bewohnt werden, während nicht einheimische Elemente als grundsätzlich bedrohlich für den homogenen Nationalstaat angesehen werden.[2] Mit diesem Verständnis als Grundlage dieser Untersuchung, ist es möglich, eine tiefe und ausführliche Analyse über den Gebrauch von rechtsradikaler Ideologie und die Normalisierung davon in der Politik, sowie über die gesellschaftlichen Folgen. Mit der Fallstudie Hanau ist es ganz klar, dass die rechte Ideologie von ‚wir gegen sie‘ sehr gefährlich in der breiten Gesellschaft ist.

Nebenbei muss dann auch eine Definition der ‚Normalisierung‘ von solchen Ideologien festgestellt werden, um zu beleuchten, wie rechtsextreme Ideologie in der Öffentlichkeit erst normalisiert und dann geduldet, sogar vorangetrieben wird. Hier kann die Arbeit von Ruth Wodak angewendet werden, in der Wodak argumentiert, dass die ‚Normalisierung‘ rechter Ideologie als die ‚Enttabuisierung und Akzeptanz früher tabuisierter Inhalte‘ bezeichnet werden kann: eine solche Normalisierung geht mit einer gewissen Schamlosigkeit vor sich‘.[3] Hier argumentiert Wodak, dass je mehr ‚tabuisierte‘ Themen erwähnt und besprochen werden, desto mehr die in der Gesellschaft akzeptiert und normalisiert werden. Obwohl Wodak rechtsextreme Ideologien im österreichischen Raum untersucht, kann diese Arbeit auch in dem Fall Deutschland und der AfD angewendet werden, da Wodak viele nützliche Begriffe und Ideen enafdthüllt.
Inwieweit vertreiben die selbsternannten ‚bürgerlichen‘ AfD-PolitkerInnen rechtsextreme Ideologie und was für Folgen haben diese Förderungen und Normalisierungen? In mehreren Versuchen haben sich unterschiedliche AfD PolitikerInnen bemüht, sich selbst und die Partei als bürgerlich darzustellen, was heißt, dass sie sich vielleicht von ‚extremen‘ Positionen distanziert haben, oder dass sie sich als ‚ehrlich‘ oder ‚normal‘ präsentieren, obwohl die Politik und Ideen hinter diesem Image nicht immer dazu stimmen. In dieser Untersuchung wird einer der zwei AfD-Parteivorsitzenden, Tino Chrupalla, als Beispiel dieses selbsternannten ‚bürgerlichen‘ Politikers dienen, um durch eine Fallstudie zu bewerten, inwieweit das bürgerliche Image innerhalb der Partei wirklich anwendbar ist oder nicht.

In seiner Vorstellungsrede, betonte Chrupalla, dass er ‚das größte Wählerpotential im bür
gerlich-konservativen Lager‘ sieht und dass ‚die bürgerliche Mitte‘ ‚nur mit Vernunft‘ erreichbar ist.[4] Mit dieser Aussage suggiert Chrupalla, dass die Partei sich in eine andere, neue und zwar ‚bürgerliche‘ Richtung entwickeln muss, um die Wählerschaft der Partei zu erweitern. Auf dem ersten Blick scheint diese Aussage plausibel, vielleicht sogar logisch, aber wenn man genauer hinschaut ist es nicht zu leugnen, dass diese Wörter und Zusagen weniger glaubwürdig werden. Hinter diesem ‚bürgerlichen‘ Image steht eine gefährliche rechtsextreme Rhetorik, die auch von Neo-Nazis verwendet wird und direkte Konsequenzen für die breitere Gesellschaft in Deutschland mitbringt.

Um der Gebrauch von dem bürgerlichen Image der AfD und deren PolitikerInnen kritisch zu hinterfragen, kann die Arbeit von Armin Pfahl-Traughber verwendet werden.[5] Pfahl-Traughber stellt die Idee des immer wachsenden rechtsextremen Charakters der AfD in Frage, mit der Schlussfolgerung, dass seit 2015 die Partei zwar rechtsextremer geworden ist
: ‚Die AfD ist in der Gesamtschau eine rechtsextremistische Partei.‘[6] Mit dieser Aussage im Rücken kann eine genauere Auswertung des bürgerlichen Images mancher AfD-PolitikerInnen zustande kommen, und zwar hintergefragt werden. Neben dem bürgerlichen Ideal hat Chrupalla den nationalsozialistischen Begriff ‚Umvolkung‘ benutzt, um eine Antwort über Familienpolitik zu beantworten.[7] Darüber hinaus hat er oft mit Rechtsextremisten gearbeitet, letztlich der Youtuber und sogennanter ‚Volkslehrer‘ Nikolai Nerling.[8] Diese Ereignisse zeigen ganz klar, dass Chrupulla, einer der selbsternannten ‚bürgerlichen‘ AfD PolitikerInnen, nicht so wirklich in der bürgerlichen Mitte der liberalen Demokratie in Deutschland steht, sondern viele Kontakte im rechtsextremen Umfeld hat. Dies bestätigt die Arbeit von Pfahl-Traughber und hervorhebt, dass
die AfD zwar rechtsextremer wird, sogar wenn’s innerhalb der Partei versucht wird, solche Aspekte der Politik, Partei und allgemeinen rechten Ideologie zu verstecken oder salonfähiger zu machen. Die Folgen von einer solchen Verhüllung sind auch gefährlich, mit den Ereignissen in Hanau nur eine beschränkte Widerspiegelung von vielen weiteren rechtsextremwichseren und rassistischen Attentaten in der jüngsten Geschichte Deutschlands.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass durch das bürg
erliche Image die AfD an Wählerschaft, Beliebtheit und deshalb politische Macht gewinnt, was dazu führt, dass einen neuen Teil der deutschen Gesellschaft von AfD Propaganda erreicht werden können. Wenn man aber tiefer und genauer hinschaut, ist es nicht zu leugnen, dass rechtsextreme Ideologie und Rhetorik hinter diesem Image stehen. Dadurch wird diese rechtsextreme Ideologie weiterverbreitet, geduldet und schlussendlich normalisiert. Dieser Prozess gefährdet das Leben von für Rechtsextremen erachtet ‚nicht passenden‘ Menschen und muss enthüllt werden. Meine Zeit hier in Deutschland hat das relativ klar gemacht.

 

EN:
In this blog entry I’d like to address a more complex topic, namely the racist attack in Hanau, with a focus on the causes as well as the consequences in German society. A short time ago, there was the state election here in Baden-Württemberg, which got me thinking!

In German post-war society, right-wing terrorism has an alarming history. On the 19th February 2020, 9 people with so-called ‘migrant backgrounds’ were murdered by a racist, right-wing attacker. However, these events were overshadowed as the pandemic brought the world to a halt just a month later. A sufficiently thorough investigation from the authorities never came. More than a year later, with relatively little examination of the event and its social and political consequences, I listened to a podcast that would begin my learning process. Later, I asked questions about right-wing extremism: how is it tolerated, even promoted, in the modern day, and by who?

With Hanau as a starting point, this piece examines the use of far-right rhetoric inside of the Alternative for Germany Party (AfD), in order to ascertain whether this phenomenon leads to the normalisation of far-right ideology in the German political space. The use of far-right ideology in speeches of self-proclaimed ‘middle-class’ AfD politicians will be analysed. The conclusion of this work is that through the middle-class self-portrayal of some AfD politicians, right-wing extremism in German society is not only tolerated, but also directly promoted and fuelled. This phenomenon emboldens far-right extremists and allows them to spread extreme right ideologies and, most importantly, to endanger the lives of those deemed as ‘not suitable’.

neudeutscheTo what extent do the self-proclaimed middle-class AfD politicians spread far-right ideology and what impacts does this have in German society and politics? Numerous AfD politicians have endeavoured to portray themselves and the party as middle-class, as displayed by attempts to distance themselves from ‘extreme’ positions or presenting themselves as ‘honest’ or even just ‘normal’, despite the fact that the politics and ideas behind this image don’t always match up to this. In this piece, one of the two party chairs, Tino Chrupalla, will serve as an example of one of these self-proclaimed middle-class politicians, in order to ascertain whether this image of the party is befitting.

In his introductory speech, Chrupalla emphasises that he sees ‘the largest voter potential in the middle-class / conservative camp’ and that this ‘bourgeois middle’ is only reachable with ‘reason’. In doing so, Chrupalla suggests that the party must evolve in a different, new and indeed ‘middle-class’ direction in order to expand its voter base. On the surface level, this statement seems plausible, perhaps even logical, but when one looks closer, it can’t be denied that these words and promises become less and less believable. However, a dangerous far-right rhetoric hides behind this ‘middle-class’ image, one that is also used by neo-Nazis and brings direct consequences with it for wider society in Germany.

The work of Armin Pfahl-Traughber can be applied in order to critically question the AfD’s and its politician’s use of the middle-class image. Pfahl-Traughber examines the idea of the ever-growing far-right character of the AfD, concluding that since 2015, the party has indeed shifted towards the far-right: ‘The AfD is, in overall view, a far-right party.’ With this statement in mind, a more exact evaluation of the middle-class image of some AfD politicians can be reached and indeed questioned. Alongside this middle-class ideal, Chrupalla is also quoted as using the national-socialist phrase ‘Umvolkung’ whilst answering a question on family politics. In modern-day terms, this refers to the perceived idea of ‘true Germans’ being replaced by non-Germans or those with so-called ‘migrantion backgrounds’. This is a term used frequently in far-right circles.

In addition to this, Chrupalla has often worked with right-wing extremists, most recently with YouTuber and ‘the people’s teacher’ Nikolai Nerling. These events show clearly that Chrupalla, one of the self-professed middle-class politicians in the AfD, isn’t really part of the ‘bourgeois middle’ of liberal democracy in Germany, but instead has many contacts in the right-wing sphere. This confirms Pfahl-Traughber’s work and emphasises that the AfD is indeed becoming more extreme, despite attempts from inside the party to hide or make aspects of the party’s politics and general right-wing ideology more presentable. The consequences of this are dangerous, with the events in Hanau serving as a limited reflection of many other far-right and racist attacks in the short history of post-war Germany.

In summary, the middle-class image of the AfD wins the party voters, popularity and therefore political power, which in turn leads to new sections of German society being reached by the party’s propaganda. When investigating the issue further, the role of far-right ideology and rhetoric behind this image cannot be denied. The image spreads far-right ideology, leads to it being tolerated and ultimately normalised. This process threatens the lives of those deemed ‘unsuitable’ by far-right extremists and has to be called out. My time here in Germany has made that quite clear.

 

[1] Cas Mudde, ‘Three Decades of Populist Radical Right Parties in Western Europe: So What?’, European Journal of Political Research, 52.1 (2013) <https://doi.org/10.1111/j.1475-6765.2012.02065.x>.

[2] Mudde, S. 19.

[3] Ruth Wodak, ‘Vom Rand in Die Mitte – „Schamlose Normalisierung“’, Politische Vierteljahresschrift, 59.2 (2018), 323–35, S. 324.

[4] ‘Die AfD Will Regierungsfähig Werden’, Die Zeit, Dezember 2019 <https://www.zeit.de/news/2019-12/01/afd-beendet-bundesparteitag-mit-weiteren-vorstandswahlen?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F>.

[5] Armin Pfahl-Traughber, ‘Die AfD Ist (Mittlerweile) Eine Rechtsextremistische Partei’, Sozial Extra, 44 (2020), 87–91.

[6] Pfahl-Traughber, S. 91.

[7] ‘Chrupalla Zieht 100-Tage-Bilanz’, Sächsische Zeitung, 11 March 2018 <https://www.saechsische.de/chrupalla-zieht-100-tage-bilanz-3895073.html?utm_source=szonline>.

[8] Sabine am Orde, ‘Das Harmlose Gesicht’, Tageszeitung, 1 December 2019 <https://taz.de/Nachfolger-Gaulands-als-AfD-Chef/!5641426/>.

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